Schwelgen in Farben, Formen und schierer Größe

Ein Himmel aus mundgeblasenen Spiegeln macht neugierig auf das Kunstwerk „The Ladybird, the Innocence and the Cars“ von Hartmann.

Seit Sonntag ist das neue Museum Reinhard Ernst für abstrakte Kunst eröffnet.

Es ist nach dem Haus der Hoffnung 2012, einem Begegnungszentrum im japanischen Natori, und dem 2016 eröffneten Musikschulhaus in Eppstein das dritte und größte Gesamtprojekt der gemeinnützige Reinhard und Sonja Ernst-Stiftung. Der aus Eppstein stammende Unternehmer und seine Frau gründeten die Stiftung 2004, um Kunst und Kultur zu fördern und sich für Kinder und ältere Menschen einzusetzen. Eine Anlage für altersgerechtes Wohnen sei als nächstes Projekt der Stiftung geplant. Für seine Verdienste erhielt das Stifter-Ehepaar jetzt das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Mit dem Museum für die knapp 1000 Kunstwerke, die der Unternehmer in rund 40 Jahren gesammelt hat, hat sich der 78-Jährige Stifter einen Lebenstraum erfüllt – und mit dem japanischen Architekten Fumihiko Maki einen herausragenden Architekten ins Boot geholt.

Lea Schäfer hat als Kuratorin die rund 60 Werke für die Eröffnungsausstellung ausgewählt. Sie zeigen einen Querschnitt der abstrakten Kunst nach 1945 in den USA, in Japan und in Europa – den drei Sammlungsschwerpunkten von Reinhard Ernst. Sie illustrieren die bahnbrechenden Veränderungen in der Malerei und zeigen gleichzeitig die gegenseitigen Einflüsse über die geografischen Grenzen hinweg.

Gemeinsam haben der Stifter und der Architekt sämtliche Details des Gebäudes, „von der Akustikwand bis hin zum kleinsten Abstellraum geplant, von morgens bis abends“, erinnerte sich Ernst an die Begeisterung des vielfach ausgezeichneten japanischen Architekten fürs Detail. Nach fast drei Jahren Planungs- und fünf Jahren Bauzeit ist das aus vier Kuben zusammengesetzte Gebäude nun fertig. Wegen seiner Oberflächenverblendung aus weißem Granit erhielt es von den Wiesbadenern bereits den Namen „Zuckerwürfel“. Maki erlebte die Eröffnung seines weltweit zehnten Museums nicht mehr. Er starb Anfang Juni im Alter von 95 Jahren. Auf einer etwa 300 Quadratmeter großen Fläche im Erdgeschoss wird deshalb mit einer Sonderausstellung an sein Lebenswerk erinnert. Schon der erste Rundgang zeigt: kein Raum ist wie der andere. Der erste Ausstellungsraum, wegen seiner Deckenhöhe von 14 Metern „Kathedrale“ genannt, beeindruckt mit seiner schieren Höhe. Das indirekt durch die gläserne Decke einfallende Tageslicht lenkt den Blick auf die hellen, fast minimalistisch gemalten, großformatigen Bilder von Morris Louis und Helen Frankenthaler.

Schon der nächste Ausstellungssaal hat mit fünf Meter Raumhöhe und gedämpftem Licht eine ganz andere Ausstrahlung, wirkt trotz der düsteren Stimmung weiträumig und gibt dem fast fünf Meter breiten „Klappbild, ungleich“ von Frank Thieler aus dem Jahr 1965 den Raum, um das Bild aus unterschiedlichen Perspektiven zu erfassen. Eher wie ein Saal wirkt der riesige Ausstellungsraum für das größte Einzelwerk der Sammlung Ernst: Über drei Wände wurde das aus einzelnen Tafeln zusammengesetzte monumentale Werk „Formation Stream“ von Toshimitsu Imaï gehängt. Über knapp 21 Meter erstreckt sich ein Fluss von Farben und Formen, die von Schwarz über Rot und Orange reichen und wie ein einziger glühender Farbstrom wirken. Kaum zu glauben, dass der Künstler es 1971 als Auftragsarbeit für ein Restaurant in Japan gemalt hat.

Ein Raum ist der „Suche nach dem weißen Wal“ gewidmet mit drei von insgesamt 266 Installationen der Werkreihe „Moby Dick“, zu der der Jahrhundertroman von Herman Melville den Künstler Frank Stella inspirierte.

Einige Räume wurden speziell für bestimmte Werke konzipiert, einige Arbeiten wie die beiden jeweils 6,50 Meter hohen Stelen „The Pair“ aus polierter Bronze von Tony Cragg eigens für das neue Haus entworfen. Über zwei Etagen entfaltet die zweiteilige tonnenschwere Skulptur ihre Wirkung im Foyer des Museums. Die leuchtendrote Skulptur „Vertical Highways“ aus verbogenen Leitplanken von Bettina Pousttchi direkt am Einlass zeigt sofort, wo es zur Ausstellung geht. Besser könne man auf den Besuch der Premierenausstellung „Farbe ist alles“ kaum eingestimmt werden, kommentiert Museumsdirektor Oliver Kornhoff das Werk im Katalog zur ersten Ausstellung.

Katharina Grosse hat mit unterschiedlichen Glasarten und Glasbearbeitungstechniken auf einer rund 60 Quadratmeter großen Fläche im Foyer ein leuchtendes Farbenspiel geschaffen. Die beeindruckende, raumhohe gläserne Wand mit dem schlichten Titel „Ein Glas Wasser, bitte“ trennt das Foyer vom Farblabor, in dem Kinder und Jugendliche an digitalen Stationen mit Kunst und Farbe experimentieren dürfen.

Überhaupt ist das Haus vormittags nur für Schulklassen und Jugendgruppen geöffnet, für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre ist der Eintritt frei. Das Museum ist täglich, außer montags, von 12 bis 18 Uhr geöffnet, mittwochs bis 21 Uhr. Jeden letzten Dienstag im Monat gibt es einen kostenfreien Nachmittag von 15 bis 18 Uhr.

Das Restaurant mit der gläsernen Fassade zur Wilhelmstraße und Außenterrasse kann, ebenso wie der Museumsshop, unabhängig vom Museum besucht werden – ein Blick ins Foyer und auf den zentralen Lichthof mit einem feinblättrigen japanischen Fächerahorn neben einer Cortenstahl-Skulptur von Eduardo Chillida lohnt sich. Dank der unterirdischen Wasseradern unter Wiesbaden entwickele sich der Baum auch ohne künstliche Bewässerung prächtig, versicherte eine Museumsmitarbeiterin.

Dezente, aus schwarzem Rohr geformte Piktogramme weisen den Weg zur Garderobe. Sogar in der Toilette erhellt Graffitikunst auf Glas von Claudia Walde alias MdC den Raum.bpa

Weitere Artikelbilder:

Kommentare

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.
CAPTCHA
Diese Frage hat den Zweck zu testen, ob Sie ein menschlicher Benutzer sind und um automatisierten Spam vorzubeugen.
17 + 2 =
Lösen Sie diese einfache mathematische Aufgabe und geben das Ergebnis ein. z.B. Geben Sie für 1+3 eine 4 ein.


X