Gabi Winterer kam beim Abholen besagten Schreibtisches mit dem Wahl-Eppsteiner über Kultur, insbesondere über Musik ins Gespräch und fragte ihn einfach, ob er Interesse habe, mit seinen Kenntnissen über die internationale Musikerszene und Erfahrungen aus der Frankfurter Musikszene, frischen Wind in den Kulturkreis zu bringen.
Richter hatte sofort die Idee, Musiker aus Großbritannien, USA oder Kanada, die er noch aus den Jahren vor Corona kennt, nach und nach in einer lockeren Konzertreihe, den „Eppstein Sessions“, in die Burgstadt zu holen. Seit zwei Jahren wird diskutiert und überlegt. Jetzt endlich soll der Startschuss zu dieser neuen Reihe fallen. Zum Auftakt Ende März im Autohaus Gottron holt Richter Tarq Bowen, einen erfolgreichen Singer Songwriter aus London. Der Sänger und Gitarrist ist einer der ganz großen in der alternativen Musikszene und stand schon zusammen mit Größen wie Rocco Deluca oder Nick Mason von Pink Floyd auf der Bühne (siehe Meldung S. 10). Tony Visconti, Produzent von Stars wie T.Rex, Paul McCartney oder Thin Lizzy, nannte Bowen wegen seiner eindringlichen Stimme „den neuen David Bowie“.
Die großen Labels in den USA und in England haben Bowen Angebote gemacht. Doch der bleibe lieber unabhängig und wolle nur seine eigenen, selbst geschriebenen Songs singen, sagt Richter, der seit fast zehn Jahren mit dem Künstler befreundet ist, ebenso wie mit etlichen anderen Musikern aus der britischen Musikszene. Damals wohnte Richter noch in Frankfurt und fing an, in seiner Freizeit Konzerte zu organisieren. Da er selbst als Gitarrist und Sänger Blues und Folk-Musik spielt, war er auch auf Reisen immer auf der Suche nach Musik- und Szenekneipen. In England wurde er fündig, denn dort gebe es viele Berufsmusiker, die nur von ihrer Musik leben und deshalb viel häufiger auf der Bühne stehen oder in Clubs spielen. In Deutschland sei die Musik für viele Musiker nur ein Zubrot, sagt Richter.
Seit 2016 brachte Richter viele britische Musiker nach Frankfurt, darunter auch den damals noch unbekannten Tarq Bowen, aber auch Künstler aus den USA, Kanada, Australien, Italien und Frankreich. Die wiederum fühlten sich in Deutschland sehr wohl. Die Bezahlung sei besser als in ihrer Heimat, „Und sie schätzen das deutsche Publikum“, sagt Richter und ergänzt, dass natürlich auch die persönlichen Kontakte zu ihm, die günstige, private Unterbringung und die Verpflegung durch seine Eltern, die wie Richter in Niederjosbach wohnen, eine Rolle spielten.
Die Frankfurter waren begeistert. Die dortige Musikszene belebte sich damals, wurde wieder internationaler, mit Konzerten in der Brotfabrik, im Günthersburgpark und in Szenecafés wie dem „Sugar Mama“ – bis mit der Corona-Pandemie die kurze Blütezeit endete. Das Stalburg-Theater schrieb seinerzeit über Tarq Bowen: „Seit er mit zwölf Jahren anfing zu spielen, hat sich Tarq zu einem Künstler entwickelt, der den Zynismus eines Charles Bukowski und den Ausdruck von John Keats mit Musik verbindet. Tarq ist eine aufregende neue Entdeckung und ein helles Licht in dieser manchmal dunklen Welt.“ Inzwischen lebt der 34-jährige Musiker wahlweise in Kelkheim und in Portugal. Neue Einflüsse, so Richter, erhielt Tarqs Musik durch seine Ehefrau Nicki Wells, die in Indien aufgewachsen ist und in der indischen Musik ausgebildet sei.
Vor vier Jahren zog Christian Richter von Frankfurt nach Eppstein, was viele seiner Frankfurter Freunde nicht verstanden hätten. Aber auch umgekehrt stoße seine Affinität zur Frankfurter Musikszene bei den Honoratioren im Kulturkreis auf Unverständnis. „Viele der älteren Kulturschaffenden in Eppstein verbinden mit Frankfurt anscheinend zuerst Kriminalität und Drogenszene“, sagt der 40-Jährige, der mit Abstand zu den jüngsten im KKE-Team gehört. Anscheinend werde auch zeitgenössische Musik in diese Schubladen einsortiert.
Deshalb habe es lange gedauert, bis er mit seiner Idee Gehör fand, dass auch neue Musik Teil des Bildungsauftrags des Kulturkreises sei – vor allem neue, authentische Musik. „Letztlich ist auch die Klassik nur eine Nische, wie andere Musiksparten auch“, sagt Richter. Und Coverbands, die nur Musik anderer Gruppen spielen, seien nicht seine Sache, macht er deutlich, dass es ihm eben nicht ausreicht, nur bekannte und bewährte Musik auf die Bühne zu bringen.
Er möchte neuen Künstlern eine Chance geben, ihre Musik zu machen. „Das kann man nicht vorab diskutieren“ sagt Richter, „Kunst muss man erleben und ausprobieren, ob sie gefällt.“ Dafür sei der Kulturkreis ein hervorragendes Forum, das auch mit neuen Formaten spielen dürfe. Schließlich gehöre Kunst- und Kulturförderung zu seinen ureigensten Aufgaben, wie der Kulturkreis alle drei Jahre mit dem Holzbildhauersymposium beweist.
Richter, der in Hattersheim aufgewachsen ist, hat in Mainz Archäologie, Alte Geschichte und Ethnologie studiert und ist archäologischer Grabungsleiter bei einer privaten Grabungsfirma in Hattersheim. Seine Grabungsstätten liegen meist im Rhein-Main-Gebiet, an der Glauburg-Grabung war Richter über seine Universität beteiligt, wie auch bei anderen Grabungen in Hessen und Bayern. In der Region gebe es viele römische Spuren, die bei Bauarbeiten gesichert werden müssten. Größte Baustelle und Grabungsstätte in der Region sei zurzeit am Landratsamt in Hofheim. Genau dort, wo der Neubau entsteht, waren vor knapp 2000 Jahren auch die Römer ausgesprochen aktiv und errichteten ein großes Kastell.
Da Archäologie ein Saison-Geschäft sei, hat Richter auch ein Designbüro und ist nebenbei Kameramann und Film-Colorist, vorzugsweise für Musikvideos. Ein eigenes Tonstudio habe er in seinem Heim in Niederjosbach ebenfalls. Für ihn sind die Grenzen zwischen Bild und Musik in der Kunst fließend. „Um die Qualität erkennen zu können, braucht man für beides Bildung und Erfahrung“, sagt Richter. So wie Ausstellungen für die bildenden Künste organisiert werden, müssten auch Musikern neben den Online-Plattformen Live-Bühnen für ihre Musik geboten werden.
Für die erste Session mit Tarq Bowen hat der Kulturkreis das Autohaus Gottron gewonnen, das schon für die beliebte Jazz-Matinee regelmäßig seine Fahrzeuge räumt. Am Samstag, 29. März, tritt dort Tarq Bowen auf. Das Konzert beginnt um 19 Uhr. Einlass ist ab 18 Uhr. Der Eintritt kostet 10 Euro pro Person. Tickets können schon jetzt reserviert werden. Infos über kk-eppstein.de oder im Kulturkreisbüro.
Jetzt fehle nur noch das richtige Marketing, um die neue Reihe bekannter zu machen – auch bei jüngeren Menschen, sagt Richter. Wenn es nach ihm geht, sollte in der ganzen Region geworben werden. Denn Tarq Bowen fehle es nicht an internationaler Beachtung und hervorragenden Kritiken. In Frankfurt gilt er seit zehn Jahren als Star in der Musikszene. Nun kommt er nach Eppstein.bpa
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