Auf Wunsch der 100-jährigen Anouck Petermann-Jacob, einer bekannten jüdisch-russischen Architektin, soll der Schriftsteller Michael (Alter Ego des Autors) Ihre Lebensgeschichte aufschreiben. Sie weiß genau, dass der Schriftsteller es mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt und gerade deshalb erzählt sie ihm auch die Geschichte, wie sie als 14-Jährige mit ihren bolschewistischen Eltern auf das Philosophenschiff gebracht wurde. Mit diesen Schiffen wurden auf Lenins Anordnung hin unliebsame Wissenschaftler, Künstler oder Ärzte aus Sowjetrussland deportiert.
Als einzige Person entdeckt die junge Anouck auf dem Schiff auch den kranken, aber geistig sehr präsenten Lenin, mit dem sie sich nachts über die Macht und die Liebe unterhält und seinen Ausführungen gespannt zuhört, bis Stalin ihn samt Rollstuhl ins Meer werfen lässt…
Rahmenhandlung und Binnenerzählung sind gekonnt miteinander verwoben. Mit klugem und elegantem Erzählstil gelingt es Köhlmeier, die Wahrheit mit seinen Einfällen (Fakten und Fiktion) zu verknüpfen. Die Philosophenschiffe hat es tatsächlich gegeben, dass aber Lenin auf dem Schiff war, ist Fiktion und in wieweit ein junges Mädchen mit Lenin über die „Strukturen des Terrors“ diskutierte ist ebenfalls Teil der Dichtung.
Aber, dass im Buch „geflunkert“ wird, steht ja von Anfang an fest und gibt dem Buch zusätzliche Spannung.
Wie Köhlmeier aktuelle linksradikale Strömungen dem Terror gegenüber offenlegt, lässt an Parallelen zum Krieg in der Ukraine denken und schafft einen Bogen zur Gegenwart und in die Realität.
Wegen seiner gelungenen Erzählweise habe ich das Buch gern gelesen. Die 221 Seiten regen zu Gesprächen an.Marianne Fricke
Michael KöhlmeierDas Philosophenschiff2024, 221 Seiten, Hanser Literaturverlag
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