FvSS: Handyfrei, MINT-freundlich und individueller Lernort

Ein Stuhlkreis zur Begrüßung hilft den Schülern, sich auf den Unterricht einzustellen. Foto: bpa

Ein Stuhlkreis zur Begrüßung hilft den Schülern, sich auf den Unterricht einzustellen. Foto: bpa

Die Zahl der Schülerinnen und Schüler an der Freiherr-vom-Stein-Schule steigt seit Jahren an. Aktuell besuchen rund 750 Jungen und Mädchen die Jahrgänge 5 bis 10. Und die Tendenz weist nach oben.

„Der Main-Taunus-Kreis wächst, dementsprechend wachsen auch wir“, lautet die lapidare Begründung von Schulleiter Christoph Krüger. Allerdings seien auch Angebote wie die bilingualen Klassen mit englischsprachigem Unterricht im Gymnasialzweig oder die Begabtenförderung für Eltern und Kinder attraktiv. Außerdem hat die Schule gerade den Titel MINT-freundliche Schule erhalten. Anfragen für Schulplätze kommen auch aus den Nachbarstädten.

Ganz neu seit diesem Schuljahr in der Schulordnung: Die Gesamtschule ist offiziell für alle Schülerinnen und Schüler „Handyfreie Zone“. Das Smartphone bleibt auf dem gesamten Schulgelände, also auch außerhalb der Unterrichtszeit ausgeschaltet und in der Tasche. Die Schulordnung sieht auch Konsequenzen vor, wenn sich jemand nicht daran hält. „Bisher klappt es besser als wir gedacht haben“, sagt Lehrerin Dorothee Dohm. Stattdessen gebe es während der Mittagspause etliche Freizeitangebote, die gut genutzt würden.

Medienerziehung sei wichtig, deshalb nehmen im November alle Klassen an einer Bildschirmzeitchallenge mit der Kommunikations- und Medientrainerin Maja Sommer teil. Die frühere Logo-Moderatorin beim ZDF wohnt mit ihrer Familie unter anderem Namen in Niederjosbach und hat die Idee für den Wettbewerb entwickelt. Damit will sie „ganz wertfrei“, wie sie sagt, das Bewusstsein bei den Kindern und Jugendlichen für den eigenen Medienkonsum wecken. Am Tag der offenen Tür der Schule am 29. November werden die Sieger geehrt und erhalten ein Preisgeld für die Klassenkasse. Dafür holt sie die Bürgerstiftung mit ins Boot.

Seit einem Jahr läuft das sogenannte PuSch-Projekt – Praxis und Schule – praxisnaher Unterricht für Hauptschüler an zwei Tagen pro Woche und drei Tagen Praktikum in einem Betrieb mit sozialpädagogischer Begleitung. Das Projekt sei gut angelaufen, sagt Krüger. Hinzu kommen zwei Integrationsklassen, in denen Kinder mit Migrationshintergrund deutsch lernen, bis sie in den Regelunterricht integriert werden können. Auch sie benötigen jeweils einen Klassenraum. „Wir platzen aus allen Nähten“, fasst Krüger zusammen. Vor allem für die Pausen will er kurzfristig Lösungen schaffen und durch Umgestaltung der zugewachsenen Grünanlage vor der Turnhalle neue Sitzgruppen und Aufenthaltsfläche für die Schülerinnen und Schüler schaffen.

Über das Raumangebot angesichts steigender Schülerzahlen sei im Dezember ein Gespräch mit dem Schulamt des Kreises geplant, so der Schulleiter. Mit Sitzgruppen in den Fluren oder „Lerninseln“ in kleineren Gruppenräumen wurde bereits zusätzlicher Lernraum geschaffen und Rückzugsorte während der Mittagspause. Der Innenhof wurde zum „Lernraum der Ruhe“ umfunktioniert – „für Gespräche ist es dort zu laut“, sagt Krüger, also wird dort leise gelernt.

Solche Plätze für eigenverantwortliches Lernen passen gut ins Konzept nach dem sogenannten Churer Modell, das im vorigen Jahr in zwei fünften Realschulklassen gestartet ist und auch in den neuen fünften Klassen angewendet wird. Etliche Ansätze dieses Konzepts würden inzwischen in fast allen Klassen aufgegriffen, deshalb spreche die Schule nicht mehr vom Churer Modell, sondern von selbstorganisiertem Lernen, sagt Krüger.

Die Klassenräume würden so gestaltet, dass sich Schüler und Lehrer dort wohlfühlen. Jeder Klassenlehrer habe die Möglichkeit, seinen Raum individuell zu gestalten. So gibt es in Dorothee Dohms sechster Realschulklasse statt klassischem Frontalunterricht unterschiedliche Sitzgruppen im Raum. Einige am Fenster bieten Platz für bis zu fünf Schüler, eine Trennwand mit Pin-Möglichkeit für Stundenplan, Sticker oder Bilder, bietet Rückzugsraum fürs individuelle Lernen. Andere Plätze sind Richtung Wand ausgerichtet, dort sitzen Schüler mit dem Rücken zum Raum. „Jeder hat sich am Schuljahresanfang seinen Wohlfühlplatz ausgesucht, einige wollten am Fenster, andere lieber an der Wand sitzen, manche zu zweit, andere lieber allein“, erzählen Maxima und Selima. Gemeinsam habe man einen Kompromiss gefunden, wenn mehrere auf den gleichen Platz wollten.

Die beiden Sechstklässlerinnen erläutern das System mit Wochenplan und den Kästen mit unterschiedlichen Aufgaben, die die Schüler im Laufe der Woche oder des Halbjahres erledigen müssen. Wer will, arbeitet mit dem Tablet, das Infos und Aufgaben für alle Fächer bietet. Wer lieber mit Papier arbeitet, findet sämtliche Unterlagen auch in Hängeregistern und Fächern in einem zentralen Regal. Aktuell ist Grammatik angesagt und Wortarten müssen im „Satz der Woche“ bestimmt werden. Andere lassen einen Rumpfsatz wachsen. So wird aus „Emma backt“ am Ende ein langer Satz mit etlichen Satzgliedern, die ebenfalls bestimmt werden müssen. Auf der digitalen Pinwand der Klasse stehen zur Eigenkontrolle die Lösungen zu den Aufgaben.

Maxima und Selima haben ihre Hefte am improvisierten Stehpult am Fenster aufgeschlagen. „Manchmal tut es gut, zu stehen“, sagt Maxima. Mitschüler Faden hat es sich währenddessen auf einem Sitzsack in einer Nische zwischen zwei Regalen gemütlich gemacht und liest. Er freue sich schon auf den Film, den die Klasse sich in den letzten beiden Stunden ansehen will – ein kleiner Ersatz für einen Kinobesuch der Klasse, der ausgefallen ist.

Jede Schülerin und jeder Schüler hat ein eigenes Regal für Unterrichtsmaterial und Hefte. Die Tablets, erklärt Faden, kommen am Ende des Unterrichts in eine abschließbare Ladestation. Jedes Tablet hat eine Nummer, die je einem Kind fest zugeordnet ist – „unsere Glückszahlen“, sagt Faden.

Die Einstiegsrunde im Kreis zu Beginn jeder Schulstunde sei ein wichtiges Ritual für die Schüler, um sich zu sammeln und zu überlegen, was heute ansteht, führt Dohm aus. Zwischendurch holt sie die Schüler in die Runde, um Fragen zu stellen oder ein neues Thema zu erklären. Den Rest der Stunde arbeiten die Jungen und Mädchen an ihrem Wochenplan oder an ihren Aufgaben, und wenden sich mit Fragen an sie. Melden mit erhobenem Finger gibt es während dieser Arbeitsphasen nicht. Stattdessen wird eine Wäscheklammer mit dem Namen an einem „Help“-Fähnchen auf dem Info-Tisch mitten im Raum geklemmt. Dann weiß die Deutschlehrerin, welche ihrer Schüler Hilfe benötigen.

Am Ende des Unterrichts sitzt die Klasse wieder in einer Runde, jeder reflektiert, was er gelernt hat und was noch nicht so gut geklappt hat. Seit einem Jahr lernen die Jungen und Mädchen nach diesem neuen System. „Inzwischen haben alle die Arbeitsweise gut verinnerlicht und lernen konzentriert“, lobt Dohm. Wichtig sei, dass das Lernumfeld gut strukturiert und gut vorbereitet sei und den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit biete, individuell zu arbeiten und dafür einen passenden Arbeitsplatz zu finden.

Ihr Fazit nach dem ersten Schuljahr mit dem neuen Lernsystem: „Es war anstrengend, aber es hat sich gelohnt.“ Die Kinder seien viel selbstständiger geworden. Dohm: „Die meisten wissen inzwischen, dass ihnen eine ruhige Arbeitsatmosphäre gut tut.“ Auch für die Lehrerin biete das neue Lernsystem Vorteile: Wenn der größte Teil der Schüler selbstständig arbeitet, habe sie mehr Zeit, um schwächeren Schülern zu helfen und vor allem die Kinder und ihre Stärken und Schwächen kennenzulernen. Bei Frontalunterricht sei das viel schwieriger.

Im sechsten Schuljahr sollen die Kinder außer dem Unterrichtsstoff lernen, eigene Lernstrategien zu entwickeln, sich Ziele zu setzen und passende Lernpartner zu finden. Aktuell bereiten sich alle auf den Lesewettbewerb der sechsten Klassen im Dezember vor. bpa

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