Überraschende Begegnungen beim Herbstspaziergang

Der Schreck ist groß, als sich ein Schuss aus der Muskete des Burgkonservators Franz Burkhard (Mitte) löst und eine Berliner Touristin in Ohnmacht fällt. Getroffen wurde niemand. Fotos: Sabrina Reulecke

Der Schreck ist groß, als sich ein Schuss aus der Muskete des Burgkonservators Franz Burkhard (Mitte) löst und eine Berliner Touristin in Ohnmacht fällt. Getroffen wurde niemand. Fotos: Sabrina Reulecke

Als die Erste Stadträtin Sabine Bergold gemeinsam mit Museumsleiterin Monika Rohde-Reith die über 60 Teilnehmer des Herbstspaziergangs am vergangenen Sonntag am Stadtbahnhof begrüßte, hatten sich zwischen den dichten Nebel vom Vormittag bereits ein paar Sonnenstrahlen geschoben.

Der Herbstspaziergang stand unter dem Motto „Mach den Faktencheck! 100 Jahre Eppsteiner Zeitung, 100 Jahre Stadtarchiv und 75 Jahre Grundgesetz mit Meinungs-, Pressefreiheit und Menschenwürde. Bergold würdigte in ihrer kurzen Rede diese drei besonderen Jubiläen und übergab an Rohde-Reith, die sofort mit ihrer Reise in das Jahr 1924 startete, zu den Goldenen Zwanzigern.

Dabei stellte sie klar heraus, dass die damalige Weimarer Republik keineswegs so wehrlos gegen die Feinde der Demokratie gewesen war, wie dies bis heute in der politischen Debatte gern behauptet würde. Ihren geschichtlichen Rückblick untermalten auch bei diesem Spaziergang wieder die Burgschauspieler.

In der ersten Szene am Bahnhof erschienen zwei Touristinnen aus Berlin (gespielt von Nicole Decher und Ela van der Halden), die sich in Eppstein von der Reichstagswahl erholen wollten und auf einen Thüringer Touristen (gespielt von Patrick Klein) trafen, der sie ungefragt über die Ausbeutung der Arbeiter in dieser idyllischen Stadt aufklärte. Passend dazu erschien Janna Bergen als Zeitungsausträgerin, die den „Aktuellen Anzeiger“ vom 1. Juli 1924 an alle Spaziergänger verteilte. Bergen tauchte in ihrer Rolle in nahezu allen Szenen an diesem Nachmittag auf.

Nach einem Stopp beim Bergmann-Michel-Denkmal zum Thema Kunst und Kultur, führte der Rundgang dann in die Altstadt hinein. Am Kriegsdenkmal, die Museumsleiterin betonte, dass sie auf dieser Bezeichnung bestehe, räumte sie mit der bekannten Dolchstoßlegende auf, die schließlich in den 2. Weltkrieg führte und betitelte diese mit heutigen Worten als klare Fake-News. Eine weitere Szene der Schauspieler untermalte ihre Worte passend.

Richtig spannend wurde es auf dem Gottfried Platz vor dem Verlagshaus der Eppsteiner Zeitung, als die Spaziergänger auf den Verleger Franz Löber (gespielt von Volker Steuernagel) trafen, der ihnen stolz die erste Ausgabe seiner eigenen Zeitung präsentierte. Wie auf das Stichwort, öffnete sich die Tür zum Verlagsgebäude und Beate Schuchard-Palmert und Julia Palmert, die eine Herausgeberin, die andere die aktuelle Verlegerin, erschienen auf der Treppe. In diesem Moment traf die Gegenwart die Vergangenheit und die Besucher applaudierten begeistert.

Monika Rohde-Reith gratulierte zum 100. Geburtstag und stellte klar, dass jede Zeitung, die heute überlebt, gefeiert werden müsse. Auch sprach sie offen über die Gefahr für Journalisten, die immer wieder bei ihrer Arbeit angegriffen, gehindert oder in etlichen Ländern sogar inhaftiert würden. Als Gastrednerin kam Dagmar Hirz-Weiser zu Wort, die über 18 Jahre beim Oberlandesgericht in Frankfurt als Richterin arbeitete, zuletzt im Senat für Presseangelegenheiten. Sie stellte die Schwierigkeit heraus, als Richterin eine Tatsache als wahr oder unwahr zu bewerten oder das öffentliche Interesse abzuwägen, auch vor dem Hintergrund der individuellen Persönlichkeitsrechte, und schloss schließlich mit den Worten, dass das Thema Presse eine besondere Sorgfaltspflicht benötige.

In der Hintergasse wartete schon die nächste Spielszene auf die Teilnehmer. Sie trafen auf zwei Kommunisten (gespielt von Patrick Klein und Thomas Göb), die sich eine lautstarke Auseinandersetzung mit einer sozialdemokratischen Mutter (dargestellt von Nathalie Wolz) und ihrer zwei Töchter zum Thema Ausbeutung der Arbeiter lieferten. Im gemächlichen Schritt führte die Museumsleiterin hinauf in den Burghof. Begleitet wurde sie übrigens die ganze Zeit von Ritter Ulrich, der dafür sorgte, dass die Tonanlage einwandfrei funktionierte. Im Burghof erwartete die Zuschauer das große Finale, bei dem die Burgschauspieler noch einmal alle Register zogen. Begrüßt wurden die Rundgänger formvollendet von Franz Burkhardt (gespielt von Benjamin Peschke), der 1908 das Museum und 1924 das Stadtarchiv gegründet hat. Wieder ging es um die unterschiedlichen politischen Meinungen, Fake-News und sogar ein Schuss aus Burkhardts Waffe löste sich, der aber zu keinem Mord führte.

Zum Abschluss erklärte Rohde-Reith, dass Archive wichtig seien, um sich zu informieren und lud alle Teilnehmer ein, die Presse- und Meinungsfreiheit sowie das Grundgesetz zu feiern. Viele Besucher folgten ihrer Einladung in die Juchee zu kommen, wo die Burgschauspieler die Spaziergänger mit Getränken und kleinen Snacks zum Abschluss gastfreundlich bewirteten. sr

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