Thomas de Maizière: „Mit Unsicherheiten leben lernen“

Thomas de MaizièreFoto: Ulrich Häfner

Thomas de MaizièreFoto: Ulrich Häfner

Sabine Vogt von der Emmausgemeinde und ehemalige Leiterin der Abteilung für schwere und organisierte Kriminalität beim Bundeskriminalamt, begrüßte die zahlreichen Gäste im Emmaus-Gemeindezentrum zum Vortrag „Zeitenwende – was bedeutet das für uns?“ drei Tage vor den Wahlen in den USA.

So viele waren gekommen, dass auch Pfarrer Moritz Mittag nur stehend die Veranstaltung der Gesprächsreihe „Über Gott und die Welt“ verfolgen konnte.

Sabine Vogt von der Emmausgemeinde, die mit Thomas de Maizière in seiner Zeit als Verteidigungs- und Innenminister zusammenarbeitete, führte den Referenten beim Publikum ein. Seit den 1980er Jahren in der Politik aktiv, bekleidete der Jurist von 2005 bis 2018 verschiedene Bundesministerien. Das CDU-Mitglied engagiert sich seitdem weiterhin als „homo politicus“ für die Gesellschaft und ist ein gefragter Experte für innen- und außenpolitische Fragen.

Rhetorisch raffiniert packte er ohne Denkverbote die gegenwärtigen heißen Eisen an. Der von SPD-Kanzler Olaf Scholz geprägte Begriff „Zeitenwende“ sei in aller Munde, so der Referent, und bezeichne nach Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine die Umkehr in der Russland-Politik.

Aber wie könne sich eine Zeit wenden, fragte de Maizière skeptisch und fokussierte sich auf die aktuellen Entwicklungen, die er als tiefe Zäsur bewertet. Im Umfeld aktueller Krisen wie Terrorgefahren, Corona und Ukraine-Krieg stünden die Menschen den größten Veränderungen gegenüber seit der Vereinigung Deutschlands im Jahr 1989. Er bündelte die aktuellen Herausforderungen in drei Punkten:

Zum einen bekomme die Außen- und Sicherheitspolitik Vorrang, das sei nicht immer so gewesen. Deutschland habe sich bisher stets auf die US-Amerikaner verlassen vor dem Hintergrund, dass die westliche Demokratie als moralisch überlegen angenommen wurde. „Richtig damit gerechnet, dass es einmal zum Kampf kommen könnte, haben wir nicht“, stellte der Referent fest. Aber auch die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris sei der Überzeugung, dass die europäische Sicherheit Sache der Europäer sei.

Zweitens sei Deutschland ein Land, in dem erschütterte Gewissheiten die Menschen verunsichern. Die meisten dachten bisher, der Staat funktioniere, aber schon angesichts des Mangels an einigen Stellen wie das Fehlen von Hustensaft oder Impfstoffen für Kinder, dächten viele schon, dass der Staat überfordert sei.

Drittens würden nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt über zwei Grundfragen nachgedacht, so der Rhetoriker. Zum Beispiel, ob es nicht besser sei, die Decke über den Kopf zu ziehen und die Probleme der Welt links liegen zu lassen. Zweitens, ob die Demokratien überhaupt in der Lage seien, die Probleme der Welt zu lösen, beispielsweise mit ihren bürokratischen Vorgaben, rüttelte der Referent an althergebrachten Verfahrensmustern. China böte da ein Gegenbeispiel, denn die Chinesen machten einfach.

Zur Frage, wie die Deutschen ihre Zukunft gestalten sollten, stellte de Maizière ebenfalls drei Punkte zur Diskussion: Erstens sollten Deutschland versuchen, ein Land zu sein, das resilient sei, aber nicht ängstlich. Im Privaten sorge der Einzelne vor, indem er beispielsweise Versicherungen abschließt, doch wenn der Staat das mache, entstehe Angst. Was sei mit der Bundeswehr, wenn es keinen mehr gebe, der bereit sei, fürs Land zu kämpfen und auch sein Leben zu lassen?, fragte er mit Blick auf die Abschaffung der Wehrpflicht. „Wir sollten fähig sein, das Land tapfer zu verteidigen“.

Zweitens: „Wir müssen lernen mit Unsicherheiten zu leben“. Ehen würden geschlossen, obwohl 30 bis 40 Prozent der Ehen geschieden würden. Hirnforscher haben erkannt, dass freie Entscheidungen nicht vorhersehbar seien. Wenn Freiheit zu Unvorhersehbarem führe, dann sei Ungewissheit ein Preis der Freiheit.

Drittens ermutigte de Maizière zu Eigenverantwortung und verantwortlichem Handeln. Die Politik könne große Krisen nicht in Gänze abfedern. „Selber machen“ sei die Devise und warb darum, den Staat gemeinsam nach vorne zu bringen und an größeren Zielen zu arbeiten. Politik sei mühsam, doch trotz der Probleme gebe es immer wieder Menschen, die Verantwortung übernehmen und anpacken. Hoffnung und Tat zu verbinden könne das persönliche Leben des Einzelnen schöner machen.

In der anschließenden Diskussion spannten die Wortmeldungen aus dem Publikum einen weiten Bogen von der Schulpolitik und Sportförderung über wirtschaftliche Fragen bis hin zu Grenzkontrollen und zur EU. Auch zur Frage, wie mit Rechtspopulisten umzugehen sei, gab de Maizière Auskunft.mi

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