Die Stühle im Blauen Saal im Rathaus I waren an beiden Nachmittagen gut besetzt. Vor allem Anwohner der Bergstraße waren neugierig, ob die angehenden Stadtplaner und Architekten praktikable Ideen präsentieren würden und wie sie das ungewöhnliche Gebäudeensemble der ehemaligen Akademie aus den frühen 1970er Jahren bewerten. Insgesamt legten die Studenten und Studentinnen 14 Entwürfe für ihre Semesterarbeiten vor.
Die fertigen Konzepte werden in einer dritten Veranstaltung im Januar vorgestellt. Diesmal wollten die Studierenden konkrete Anregungen und Kritik von den Vockenhäusern hören, bevor sie ihre Konzepte endgültig ausformulieren. „Sie haben die Ortskenntnis“, sagte Professorin Susanne Reiß deshalb zu den Besuchern wies auf die schwierige, zum Teil „extreme Topografie“ in Eppstein hin und freute sich über den regen Austausch und die vielen Anregungen.
Schon nach dem ersten Nachmittag war klar: Die Studenten wollten das Akademiegelände nicht unabhängig von Rathausplatz und Hauptstraße betrachten. Reiß lobte denn auch den „ganzheitlichen Blick auf den Ort“. Was auch immer auf einer der zentralen oder städtebaulich herausragenden Flächen geplant werde, habe Auswirkungen auf die anderen, so die einhellige Einschätzung. Dass dabei der Kirchplatz als dritter öffentlicher Begegnungsort für kulturelle Veranstaltungen zu groß eingeschätzt wurde, war da nebensächlich – eben einer der Fehler, bei dem die Studenten die Rückmeldung der Ortsansässigen brauchen, um ihn zu korrigieren.
Einige Ideen, wie die Verlegung des Rathauses auf das Akademiegelände oder der Bau einer Seniorenwohnanlage, wurden gleich von mehreren Arbeitsgruppen vorgestellt und immer wieder abgewogen, ob Seniorenwohnungen in schöner Lage am Südhang, dann mit kleinem Einzelhandel, Café oder Bistro, gebaut werden sollten, oder doch besser ebenerdig in der Ortsmitte anstelle des Rathauses. Vor dem Rathaus I sehen etliche Studenten Potenzial für eine neue Grünanlage mit Marktplatz. Auch der Bach solle ihrer Meinung nach von beiden Seiten besser zugänglich gemacht werden. Überhaupt sei Vockenhausen eine Gemeinde mit wenig innerörtlichen Grünflächen und Rad- und Fußwegen.
Das Problem der Zufahrtswege zur Sparkassenakademie wurde nicht nur von den Stadtplanern am Freitag aufgegriffen. Auch die angehenden Architekten suchten nach Lösungen. Eine Entlastungsstraße am Rand des Südhangs mit zusätzlichen Bushaltestellen wurde mehrfach genannt. Die Anwohner machten darauf aufmerksam, dass der Verkehr nicht Richtung Ehlhalten umgeleitet werden müsse, sondern Richtung Frankfurt und S-Bahn, gegebenenfalls Richtung B 455.
Susanne Reiß stellte in Aussicht, dass Verkehrsplanung, Statik und Erschließung bis zur nächsten Versammlung separat betrachtet werden.
Die Anregung, das Sparkassengelände für junge, innovative Unternehmen, Startups, Co-Working-Büros oder Erweiterung bestehender Betriebe zu nutzen, stieß auf große Resonanz, ebenso der Vorschlag, eine Art Selbstversorgerhof für Menschen mit Behinderungen mit Wohngebäuden, Werkstätten, Kulturhof und eigenem Gemüseanbau zu errichten, nach Vorbild des Chamisso Gartens der gemeinnützigen, inklusiven „Initiative für Mensch & Natur“ im Norden Frankfurts.
Die angehenden Architekten wollten zwar die Idee des sechseckigen Grundrisses um einen zentralen Innenhof grundsätzlich beibehalten, die Gebäude selbst wollten sie zum Teil nutzen und die großen wabenförmigen Bauten mit den Glasfronten zumindest aufbrechen und umbauen oder ganz abreißen. Einige Gruppen wollten einzelne Häuser errichten, andere folgten beim Grundriss der asymmetrischen Gebäudeform der Akademie.
Die Vorschläge für maßvollen Wohnungsbau samt neuer Wegeerschließung, Freizeit-, Sport-, Wellness- oder Gesundheitsangebote, darunter sogar eine Kureinrichtung, zielten alle darauf ab, die bisher optisch abgeschottete Sparkassenakademie durch Umbauten nach Vockenhausen hin zu öffnen. Das Gebäude stehe bislang für sich und habe weder optisch noch von seinem Zweck einen Bezug zu Vockenhausen, fasste Susanne Reiß zusammen.
Die Ideen nahmen die Vockenhäuser wohlwollend bis lobend auf, dass das Akademiegebäude teilweise abgerissen werden solle, stieß jedoch auch auf Kritik. Man empfinde das Gebäude nicht als Fremdkörper oder abgeschottet und städtebaulich sei in Vockenhausen ohnehin noch nie gedacht worden, sagte ein Anwohner. „Dann wäre doch jetzt der richtige Zeitpunkt über städtebauliche Lösungen nachzudenken“, konterte Reiß.
Die Erbauer der Sparkassenakademie brauchten keine städtebauliche Anbindung. Und der neue Eigentümer denke zuerst an gewinnbringende Vermarktung. In diesem Spannungsfeld sei es die Aufgabe der Studenten, unabhängig von der finanziellen Machbarkeit, die städtebauliche Qualität des Areals zu erkennen. Mit ihren Ideen, so Reiß zu den Studenten, „schaffen Sie einen Gegenpol zur Gewinnmaximierung.“ Gerade deshalb sei es wichtig, alternative Vorschläge zu erarbeiten und mit einer Sicht von außen auf Vockenhausen und sein Potenzial zu schauen. Anders als die Einwohner Eppsteins, führte Reiß aus, müssten die Studenten mit Blick auf den gesamten Ballungsraum eine Perspektive für Eppstein entwickeln.
Aus städtebaulicher Sicht müssten die Studenten, Ideen und Realisierungsmöglichkeiten für die nächsten 20 bis 50 Jahre entwickeln, ergänzte ihr Kollege, der Dozent Thorben Hämmerle. Als Planer haben sie die Aufgabe, die Emotionalität aus der Diskussion zu nehmen und mit sachlichem Blick die Möglichkeiten auszuloten.
Es sei aber auch deutlich geworden, so Hämmerle: „Alle Studenten sehen: Da ist Potenzial und haben dazu Ideen erarbeitet.“ bpa
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