Im vergangenen Juli wurde er 90 Jahre alt und schenkte Martina Smolorz für ihr noch junges Ortsarchiv seine Filme und zahlreiche Fotoalben. Vier Filme „Hör ich das Mühlrad drehen“ widmete er seinem Heimatdorf Ehlhalten. Gezeigt wurden sie das erste Mal 2010 bei einem Filmabend in der Pfarrscheune vor zahlreichen Zuschauern. „Viele Menschen, die darin gezeigt werden, sind heute längst tot“, sagt Jorkowski nachdenklich. Für Smolorz sind diese Filme auch deshalb ein kostbarer Schatz für ihr Dorfarchiv. Vor Weihnachten suchte Martina Smolorz aus den über 830 Gedichten, die Jorkowski unter dem Pseudonym Julius Otto Richard geschrieben hat, einige über Ehlhaltens Naturschönheiten und Originale aus und trug sie beim Seniorenkaffee in der Pfarrscheune vor.
Lokalkolorit beschwor sie mit dem Gedicht über den „Bäcker-Heine“ Am Brühl, bei dem die Kinder besonders gern Brot kauften, weil dort ein großes Glas mit Bonbons auf sie wartete. In den „Ehlhaltener Notizen“ verrät Jorkowski, was er an seiner Heimat schätzt – die Bäche, Wälder und Wiesen – und was er sich dafür wünscht: einen Teich, einen Aussichtsturm und einen Bauern, der die Felder wieder bestellt. Sein erstes Gedicht, so der Senior, habe er noch während der Schulzeit geschrieben: Ein Fisch, den er als Kind in der Ausbuchtung einer Quelle am Rand eines Gartens am Dattenbach entdeckte, habe ihn zu dem gleichnamigen Gedicht inspiriert.
So intensiv wie der gebürtige Frankfurter hat über Jahrzehnte hinweg wohl kein anderer Dorfbewohner das Leben im Ort mit der Kamera dokumentiert: Zunächst in Super-Acht-Aufnahmen, später als Videoaufzeichnung, zeigt Jorkowski beispielsweise, wie Köhler Jochen Janseli 1983 den ersten, rauchenden Kohlenmeiler auf der Dorfwiese am Rathausweg umsorgt und Ehlhaltens Kerbeburschen in Gemeinschaftsarbeit den Kerbebaum aufstellen. Die Jugendwehr beobachtet Jorkowski bei einer Löschübung hinter der Dattenbachhalle. Auftritte von Gesangverein und Kinderchor unter der Leitung von Hiltrud Wendel sind inzwischen auch schon historisch. Ebenso die Bilder von Richard Weil, einem der letzten Ehlhaltener Landwirte, auf seinem Traktor.
Unzählige historische Fotos, einige noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, hat Jorkowski gesammelt und in seiner zweiteiligen Filmdokumentation mit einigen historischen Informationen zusammengestellt: Zum Beispiel über die ehemals vier Gasthäuser „Zum Taunus“, „Zur Krone“, „Zum Silberbachtal“ und „Margarethen-Insel“. Die Bäckerei Kilb in der damaligen Eppsteiner Straße und die beiden Lebensmittelläden, Frankenbach und Hemmerling, entlang der Langstraße zeigt der Hobbyfotograf in Fotos oder zählt sie der Vollständigkeit halber auf, ebenso die ehemalige Schreinerei Klusmeyer oder den Schuster Heinrich Kilb und unzählige Fotos und Filmsequenzen von Häusern und Plätzen. Aufnahmen einer Dreschmaschine belegen die kräftezehrende Arbeit nach der Kornernte. Historische Traktoren und Motorräder waren der Mittelpunkt der Traktorenschau, die der Ehlhaltener Sammler Jakob Becht und Walter Schmidt in den 1980er Jahren organisierten.
So gibt das kaleidoskopartig angelegte Filmmaterial einen bunten Ausschnitt aus dem Ehlhaltener Dorfleben früherer Jahrzehnte wider und hat auch aus den anderen Stadtteilen wichtige Ereignisse festgehalten – zum Beispiel die 675-Jahr-Feier Eppsteins oder das 150-jährige Bestehen der Stanniolfabrik 2002, Besuche aus den Partnerstädten. Auch bei der 800-Jahr-Feier in Bremthal 2004 hat Jorkowski gefilmt, außerdem beim Fastnachtszug des GCC in Niederjosbach und bei einem Eckhaubertreffen vor der Feuerwehr Vockenhausen.
Vermutlich hat Jorkowski in seiner Sammlung auch das einzige Foto von Ehlhaltens letztem Plumpsklo in der Gräflichen Straße. Dazu passend verfasste er ein Gedicht in Ehlhaltener Mundart unter dem Titel „Geäijerd“ über Frau Müller, die auf dem Klo sitzt und sich geärgert hat.
Jorkowski fühlt sich als Ehlhaltener, schließlich wuchs er in dem ehemaligen Köhlerdorf in einer Pflegefamilie auf, andererseits habe er bis ins Erwachsenenalter Vorbehalte gegen sich als Chronisten gespürt, weil nicht alle offen für seine Nachforschungen waren. Auf seine Nachfragen zu Familienstammbäumen oder die Historie eines Hauses habe er häufig Ablehnung erfahren. Warum er sich denn dafür interessiere, er sei doch gar kein richtiger Ehlhaltener, hieß es dann.
„Ich war immer noch das Pflegekind von auswärts“, sagt er ohne Bitterkeit. Das bedeutete, dass er zwar Messdiener war, aber kein Geld hatte, um bei der Messdienerfahrt mitzufahren. So fühlte er sich nie richtig in die Dorfgemeinschaft integriert.
Die schöne Natur um Ehlhalten habe das alles wett gemacht. Besonders gern erinnere er sich an die drei Mühlen. Sie sind für ihn der Inbegriff der Romantik, wo Natur und menschliche Erfinderkraft zu einer Einheit werden.
In der Angst vor Kritik an der Namensnennung liege ein Grund dafür, warum er bei seinen Filmen und Fotografien an der Oberfläche bleibe und kaum Hinweise zu den Quellen oder den Personen gebe, die er darin zeigt, sagt der über 90-Jährige. So habe er zunächst auch die Namen von ehemaligen Zwangsarbeitern in Ehlhalten aufgeschrieben und alte Feldpostkarten gesammelt. Schließlich vernichtete er diese einmalige Sammlung und damit eine wichtige Quelle für spätere Forschung.
Die Zurückweisung habe ihn schon als kleinen Jungen getroffen, den die Fürsorge im Alter von sieben Monaten von seiner alleinerziehenden Mutter trennte, und hinterlässt auch im hohen Alter noch einen bitteren Nachgeschmack. „Ich war unehelich und meine Mutter musste arbeiten“, fasst er die Gründe zusammen, weshalb er nach Ehlhalten zu einer Pflegefamilie kam und sagt dennoch: „Etwas Besseres konnte mir nicht passieren.“ Ehlhaltens schöne Lage, der Wald, die Wiesen und die Bäche waren sein Kindheitsparadies: „Im Sommer haben wir in den Wiesen unterhalb der Hessenmühle die beiden Bäche angestaut. Das war unser Schwimmbad“, erinnert er sich voll Sehnsucht.
In den 1930er Jahren gab es anscheinend etliche Kinder wie ihn, die in Ehlhaltener Familien zur Pflege untergebracht waren. Pflegekinder wie Dorfkinder hatten alle nicht viel, genossen aber gemeinsam die Freiheiten des Dorflebens. „Allerdings war mein Nachname wohl besonders außergewöhnlich“, sagt er nachdenklich. „Den kann bis heute noch keiner richtig schreiben.“ Zunächst kam er Am Brühl zu einer Familie, die sieben Pflegekinder aufgenommen hatte und als achtes Kind noch einen eigenen Sohn bekam. Mit zwei Jahren kam er zu einer anderen Familie in der Langstraße. Als der Krieg begann, war er gerade fünf Jahre alt, kann sich aber noch gut daran erinnern, dass häufig Bombenalarm war und viele Bomben abgeworfen wurden: „Wir hatten Strohmatratzen im Keller, auf denen wir oft ganze Nächte verbracht haben.“
Den Krieg verbindet er mit Armut und vielen Entbehrungen: „Wir machten uns aus Holz und Lederriemen, die wir aus der Lederfabrik in Vockenhausen holten, einfache Schuhe.“ Zu essen gab es, was der Garten hervorbrachte. „Es wurde viel getauscht: Zum Beispiel Salat gegen Gurken oder Obst“, erinnert sich Jorkowski. Sauerkraut wurde selbst angesetzt und etliche Zentner Kartoffeln eingekellert. Im Herbst suchten die Kinder Holz und lasen auf den Feldern die restlichen Kartoffeln auf. Noch während der Lehrzeit ging es nach dem Feierabend zum Heumachen auf die Wiese.
Eigentlich habe er Radiomechaniker lernen wollen, davon riet der Lehrer ab, der seine Neigung zum Schreiben kannte. 1948 machte Jorkowski eine Ausbildung zum Industriekaufmann und arbeitete schließlich bei der damaligen Hoechst AG. Über einen Freund kam er zur Filmerei, schaffte sich seine erste Super-8-Kamera an und einen einfachen Fotoapparat, eine sogenannte „Boy Box“.
1956 heiratete er Ehefrau Ilse. Bald war die Wohnung in der Langstraße zu klein. Die junge Familie zog zunächst nach Höchst, wo die drei Kinder aufwuchsen. Doch das Heimweh nach Ehlhalten war zu stark: „Ich wollte einfach wieder zurück“, erinnert sich Jorkowski. 1978 kaufte das Ehepaar ein Grundstück Am Steinberg und baute mit viel Eigenarbeit ein Heim für die Familie. Seine drei Kinder sind längst aus dem Haus. Inzwischen haben die beiden neun Enkel und sechs Urenkel und freuen sich darauf, so Jorkowski, „dass wir nächstes Jahr im April unseren 70. Hochzeitstag feiern dürfen“.
Seit seiner Rückkehr nach Ehlhalten filmte und fotografierte Jorkowski das Dorfleben bei jeder Gelegenheit, hielt Menschen und Ereignisse für die Nachwelt fest und blieb dabei technisch immer auf der Höhe.
Inzwischen sind sämtliche Filme digitalisiert und auf USB-Stick oder DVD umformatiert. Seine Fotos aus über 40 Jahren hat Jorkowski in mehreren Alben chronologisch und nach Ereignissen aufgebaut. So dokumentiert er beispielsweise auch das Hochwasser 1981, als die gesamte Langstraße und etliche Gebäude im alten Ortskern unter Wasser standen. bpa
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