Auf der Suche nach der Wahrheit zum Glauben gefunden

Pfarrer Moritz Mittag neben Propst Oliver Albrecht beim Gottesdienst zur Entpflichtung des beliebten Pfarrers in Emmaus.Foto: Ulrich Häfner

Pfarrer Moritz Mittag neben Propst Oliver Albrecht beim Gottesdienst zur Entpflichtung des beliebten Pfarrers in Emmaus.Foto: Ulrich Häfner

Von Abschied, von Aufbruch und von Neuanfang war viel die Rede bei der Entpflichtung Pfarrer Moritz Mittags von seinem Amt in der Bremthaler Emmausgemeinde. Propst Oliver Albrecht nahm den Verwaltungsakt im Rahmen eines Gottesdienstes vor, Dekan Martin Fedler-Raup hielt die Predigt.

Beide erinnerten an Mittags Anfangsjahre in der evangelischen Talkirchengemeinde, die in zwei Bezirken von Pfarrer Friedhelm Schneider und Pfarrer Moritz Mittag betreut wurden. Beide sparten nicht mit Lob: „Sie sind ein Pfarrer, der zuallererst die Menschen aufbaut“, sagte der Propst in seiner Ansprache. Auch Mittags „sensationelle Jugendarbeit“ hob er hervor und seine Weitsicht, schon lange vor dem Ruhestand Gemeindeaufgaben nach und nach an andere zu übertragen.

Dekan Fedler-Raup zitierte seinen Vorgänger von 1987: „Gehen sie nach Bremthal und bauen Sie dort eine Gemeinde auf.“ Dann erzählte er, wie Moritz Mittag den Auftrag wörtlich nahm und, wie er selbst sagt, nur mit dem Gemeindesiegel und 100 Mark in der Kasse ausgestattet, anfing. Nicht einmal Tisch und Stuhl gab es im ersten Büro in der Waldallee. Doch der Pfarrer war präsent: Nahezu jeden Sonntag hielt er in einer anderen Kirche in Eppstein einen Gottesdienst, war dabei in gelebter Ökumene häufig zu Gast in katholischen Gotteshäusern und lernte so die Menschen seiner Gemeinde kennen. Diese Verlässlichkeit und die Präsenz waren ihm wichtig und, wie er selbst sagt, neben der intensiven Jugendarbeit, Säulen seiner Aufbauarbeit in Emmaus. „Ohne eigene Räume ist das eigentlich unmöglich“, sagte Mittag zurückblickend.

Nachdem er eine eigene Wohnung in Bremthal gefunden hatte, diente das Büro als Anlaufstelle und Treffpunkt für seine rund 1900 Gemeindemitglieder in Bremthal, Niederjosbach und Ehlhalten, darunter auch zahlreiche Jugendliche, bis zum Umzug 1997 ins neue Gemeindezentrum in der Freiherr-vom-Stein-Straße. Zum 1. Januar 2002 wurde die Emmausgemeinde gegründet, 2002 eine Orgel eingebaut, 2005 die Emmaus-Stiftung gegründet und 2020 die drei Glocken im neuen Glockenturm eingeläutet. Von den anfangs drei bis vier Gottesdienstbesuchern war die Zahl auf 40 angestiegen. Bis zur einschneidenden Corona-Pandemie gehörten etwa 60 Menschen zum festen Stamm. Seitdem schwanke die Zahl der sonntäglichen Besucher zwischen 40 und 100 – „je nach Anlass oder Thema“, sagte Mittag.

Ob das auch künftig so bleibt, hängt seiner Meinung nach nicht nur von seiner Nachfolgerin Yvonne Heinrich ab, die am 2. Februar in ihr Amt eingeführt wird, sondern auch davon, „dass den Menschen bewusst ist, dass sie selbst die Gemeinde sind!“, betonte er. Gute Jugendarbeit sei dabei enorm wichtig, das hat er in 37 Jahren als Pfarrer und vorher schon als studentischer Aushilfsprediger bei Kindergottesdiensten und während seines Vikariats festgestellt. „Aber die demoskopische Entwicklung zeigt klar, dass wir alle mitmachen müssen.“ Er selbst sei auch bis zu seinem 18. Lebensjahr kein Kirchgänger gewesen. Heute sei der Weg in die Gemeinde noch schwieriger als damals, da viele Kinder gar nicht mehr getauft würden.

Gefragt nach den Wurzeln seines Glaubens und wieso er den Beruf des Pfarrers gewählt habe, fällt ihm sein alter Griechischlehrer ein, der mit ihnen im Unterricht Originaltexte gelesen habe, unter anderem die Frage von Pilatus an Jesus: „Was ist Wahrheit?“ Diese Frage, so Mittag, „blieb hängen und ließ mich nach Antworten suchen.“ Die Frage führte ihn zum Theologiestudium nach München, wo sich der Theologe und Dogmatiker Wolfhart Pannenberg mit der Frage nach der Wahrheit beschäftigte und den jungen Moritz Mittag mit unterschiedlichen theologischen Theorien und Glaubensdiskursen konfrontierte.

Die Stadt München und ihre Kultur faszinierten den jungen Studenten. Dennoch kehrte er zum Abschluss seines Studiums wieder nach Mainz zurück, wo er seine Schulzeit und Jugend verbracht hatte. „Vielleicht war meine Sehnsucht nach einer Heimat der Grund, dass ich aus München zurückgekehrt bin“, sagt er rückblickend. Denn in der Kindheit sei er häufig mit seinen Eltern umgezogen: Geboren wurde er in Gießen, dann zog er mit den Eltern nach Stuttgart und von dort nach Regensburg und später nach Mainz, wo er ein altsprachliches Gymnasium besuchte. „Menschen brauchen Heimat“ war wohl auch deshalb das Thema seiner Predigt bei der Ordination 1987 in Eppstein.

In jedem Fall brachte ihn auch sein Pflichtbewusstsein für die Heimatgemeinde, ein Weindorf in Rheinhessen, zurück. Denn schon als Student hatte er begonnen den Kindergottesdienst in seiner Kirchengemeinde im damaligen Dekanat Oppenheim zu halten. „Da die Stelle des Pfarrers ein Jahr lang vakant war, durften wir experimentieren und sehr innovative Gottesdienste gestalten“, erinnert er sich. Deshalb machte er seinen Abschluss nicht in München, sondern in Mainz.

„Wenn alles so reglementiert gewesen wäre wie heute und wir diesen Spielraum in den Gemeinden nicht gehabt hätten, hätte ich vermutlich etwas anderes gemacht“, sagte er rückblickend und fügte nachdenklich hinzu: „Wenn es nur noch Vorschriften gibt, gibt es auch keine Ideen mehr, ohne Risiko kann nichts Neues entstehen.“ Diese Entwicklung sehe er im ganzen Land mit Besorgnis. Er befürchtet: „Wenn alles institutionalisiert und abgesichert wird, bewegt sich nichts mehr, das Land erstarrt.“ Unter solchen Voraussetzungen, da ist er sich sicher, „hätten wir auch in Emmaus nichts bewegt!“.

Im Ruhestand will er sich aus dieser Verantwortung herausziehen. Seine wochenlange Krankheit zwinge ihn ja schon jetzt zu einem eher „ruckeligen“ Abschied, denn sein für den 1. Dezember geplanter Abschiedsgottesdienst und das Abschiedsfest mit seiner Gemeinde verschiebe sich deshalb ohnehin bis Mitte Januar. Zum Entpflichtungsgottesdienst mit anschließendem Empfang kamen außer zahlreichen geladenen Gästen viele Gemeindemitglieder. Ein spontan vom Kirchenvorstand zusammengestellter Chor intonierte zum Abschluss des offiziellen Teils einen Wechselgesang mit der Gemeinde.

Große Pläne oder Ziele habe er nicht, sondern wolle vor allem erst einmal Ruhe finden – und sich Zeit für die Oper nehmen. Operninszenierungen seien seit seiner Studentenzeit in München seine große Leidenschaft, so Mittag. Bisher blieb nur wenig Zeit dafür. Auch seine Freundschaften wolle er nun pflegen.

Der Emmausgemeinde bleibe er erhalten, sagte Mittag, aber mit Distanz zum aktiven Geschehen. Das sei er sich und seiner Nachfolgerin schuldig. Neue Verpflichtungen, so Mittag, wolle er erst einmal nicht eingehen, sondern eher „aktiv abwarten“. Seiner Erfahrung nach werde man von seinen Aufgaben gefunden.

Die eine Antwort auf die Frage nach der Wahrheit, habe das Studium nicht gegeben. „Im Gegenteil da wurden sämtlich Gewissheiten auf den Kopf gestellt“, sagte er mit feinem Lächeln. Für ihn stehe fest, „die Wahrheit offenbart sich in Jesus Christus – und sie begegnet uns in unserem Nächsten in vielen kleinen Aspekten von Wahrheit“.bpa

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